Keine Chance für Loverboys

 

 

Es sind doch immer genau diese Tage, an denen nichts außergewöhnlich erscheint; diese Tage, an denen alles eine einzige große Routine zu sein scheint, genau an diesen Tagen geschehen die Dinge, die unser Leben verändern.

 

Es sind noch zwei Wochen bis zu den Sommerferien und Lea kann es kaum erwarten, für sechs Wochen von der Schule befreit zu sein. Nicht, dass man sie falsch versteht, sie mag die Schule auch wenn sie weder zu den beliebten Leuten, noch zu den Außenseitern gehört. Sie ist irgendwo dazwischen und fühlt sich offen gesagt sehr wohl damit.

Die beliebten Mädchen ihrer Klasse treffen sich nach der Schule und schauen sich irgendwelche Castingshows im Fernsehen an oder rennen wie wild aufgescheucht durch die Innenstadt auf der Suche nach einem neuen Oberteil oder anderen Neuheiten aus der Fashionwelt. Lea kann das nicht nachvollziehen.

 

Die Jungs in ihrer Stufe, da sind Lea und die beliebten Mädchen sich einig, sind allesamt rumtollende Idioten. Schulhofprügeleien, Videospiele und Comichefte – das ist doch was für Primaten, findet sie.

 

Aber mal ehrlich, irgendwann reicht es mit dem Unterricht und die Sommerpause ist nach Leas Meinung wohl verdient. Dann hat sie auch endlich wieder mehr Zeit für Jakob, Daniel, Laura und Sina, ihre besten Freunde an der Schule. Die Fünf werden dann jeden Tag im Freibad verbringen, ohne auch nur einen Gedanken an die Schule oder andere angeblich wichtige Dinge zu verschwenden.

 

Lea betritt gerade das Schulhofgelände, die Sonne blendet etwas und kitzelt sie auf der Nase.

Die Sonne verschwindet hinter dem Schulgebäude, je näher sie darauf zugeht. Als sie wieder klar sehen kann, fällt ihr Blick auf den Zaun am Rande des Schulhofes. Dort steht ein nicht gerade ansehnliches Metallgebilde mit abbröckelndem grünem Lack, rostigen Stellen und einigen Beulen von den Autos hektischer Eltern, die ihre Kinder auf den letzten Drücker zur Schule brachten.

 

An dem Zaun lehnt ein Junge, den sie hier schon ab und an gesehen hat, gesprochen hat sie aber nie mit ihm – warum auch? Er ist mindestens vier Klassen über ihr. Und wer von den Älteren spricht hier denn schon mit Schülern aus den unteren Klassen – es sei denn, es sind Geschwister oder andere Verwandte? Sie sieht ihn immer nur zusammen mit den beliebten Leuten der Schule, vor allem den aufgetakelten Mädchen die ihn anscheinend „super süß“ finden.

 

Er schaut in ihre Richtung und zwinkert. Lea schaut hinter sich um zu sehen, wen er wohl damit meint, aber hinter ihr ist niemand. Sie schaut wieder zu dem Zaun, wieder zu dem Jungen und er lacht ein wenig, zwinkert nochmal und geht dann.

 

Na super, denkt sich Lea während sie versucht, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Diese Situation auf dem Pausenhof will ihr nicht aus dem Kopf gehen. Warum hat er das getan?

 

Nach drei Abmahnungen der Lehrerin, mit der Betonung, sie solle doch endlich aufpassen und nicht durch die Gegend träumen, klingelt es zur Pause. Lea ist unsicher, ob sie nochmal zum Zaun schauen soll, aber ihre Neugierde schiebt sie förmlich in diese Richtung. Glück gehabt! Dort steht kein Junge mehr, jetzt kann sie diesen Quatsch endlich vergessen und wieder zu den Anderen gehen.

 

Plötzlich stolpert sie ein paar Schritte nach vorn, jemand hat sie an die Schulter gestoßen. „Ey, sag mal spinnst du?“ faucht sie, während sie sich umdreht und den Jungen vom Zaun entdeckt. „Ja, manchmal glaube ich das auch … ich bin David und du?“ Ihre Wut weicht schlagartig einem seltsamen Gefühl aus Verwirrung und Scham, sie wird leicht rot – zumindest glaubt sie das, denn ihre Ohren scheinen zu glühen.

 

„Lea“ haucht es über ihre Lippen. Sie hat keine Ahnung warum ihr ausgerechnet jetzt auch noch die Stimme abhanden gehen muss – jetzt ist es ihr definitiv peinlich.

Die Story als Download:

KEINE CHANCE FÜR LOVERBOYS     © Frauen-Notruf Münster, 2015